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Woche 5: Pflöcke des Lebens

Eine Geschichte von Jorge Bucay (ein argentinischer Therapeut) aus „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“ lässt uns reflektieren, genau hinsehen und inspiriert dazu, Dinge neu zu betrachten – zuerst uns selbst und irgendwann auch die Schüler*innen.

Woche 5: Pflöcke des Lebens

Bucay übermittelt seine psychologischen Erkenntnisse in Form von Erzählungen, denn diese können uns Dinge spüren lassen, wie keine Theorie es jemals könnte. Ein Prinzip, dass übrigens auch im Konzept des Schulfachs "Selbstentwicklung & mentale Gesundheit" gelebt wird!


 

Als ich ein kleiner Junge war, war mein Lieblingstier im Zirkus der Elefant. Während der Vorstellung zeigte das riesige Tier seine unglaubliche Kraft und hob schwere Lasten, balancierte auf nur einem Bein oder führte beeindruckende Kunststücke vor. Doch nach der Vorstellung – und auch vor ihr – blieb der Elefant immer an einen kleinen Pflock gekettet, der in den Boden gerammt war. Der Pflock war aber nur ein winziges Stück Holz, kaum in der Erde verankert, und die Kette, die ihn festhielt, war dünn.

 

Das war für mich als Kind unverständlich. Warum riss der Elefant sich nicht los? Mit all seiner Kraft hätte er den kleinen Pflock doch mühelos herausziehen können! Ich fragte mich, warum er einfach dort stehen blieb und nicht versuchte, zu fliehen.

 

Ich stellte diese Frage einem Erwachsenen, der mir erklärte: „Der Elefant flieht nicht, weil er gezähmt ist.“ Doch diese Antwort machte mich nicht zufrieden. Wenn er gezähmt wäre, warum band man ihn dann überhaupt fest?

 

Jahre später, als ich älter war, entdeckte ich eine mögliche Erklärung:

Der Zirkuselefant war nicht immer ein riesiges, starkes Tier gewesen. Als er noch klein war, wurde er bereits an diesen Pflock gekettet. Das Elefantenbaby versuchte damals, sich zu befreien, zog und zerrte an der Kette – doch der Pflock war tief in die Erde gerammt und das kleine Tier zu schwach. Es kämpfte und kämpfte, bis es schließlich aufgab. Es lernte, dass es keine Chance hatte, sich zu befreien.


Diese Erfahrung brannte sich tief in sein Gedächtnis ein. Es prägte sich ihm ein, dass Widerstand zwecklos war. Und so versuchte er es nie wieder. Er wurde größer, stärker – riesig. Ein Koloss von Kraft, der Bäume ausreißen könnte. Doch der kleine Pflock genügte, um ihn an seinem Platz zu halten. Nicht, weil er ihn wirklich hielt. Sondern weil er glaubte, dass er ihn hielt.


Ich stand lange vor diesem Elefanten, betrachtete die Kette, den Pflock. Betrachtete den riesigen Körper, die mächtigen Beine. Und dann wurde mir klar, dass er niemals mehr ausprobieren würde, ob es doch möglich wäre. Und da fragte ich mich:

 

Wie viele von uns leben wie dieser Elefant?

Wie viele von uns glauben, gefangen zu sein – nur weil wir es irgendwann nicht geschafft haben?

Wie viele von uns stehen still, obwohl wir längst die Kraft hätten, loszugehen?

 

Ich wusste es nicht. Aber während ich dem Elefanten in die Augen sah, fragte ich mich leise:

Was wäre, wenn er es heute noch einmal versuchen würde?

 

Die Geschichte zeigt uns, wie tief Glaubenssätze wirken können – nicht nur bei Kindern, sondern auch bei uns selbst. Erfahrungen aus der Vergangenheit prägen unsere Überzeugungen darüber, was möglich ist und was nicht. Doch oft sind es nicht die äußeren Umstände, die uns begrenzen, sondern unsere eigenen Gedanken. Deswegen nimm dir jetzt ein paar Minuten Zeit, um deine eigenen „Pflöcke“ zu erkennen, denn das wird dir helfen deine Schüler*innen (SuS) dabei zu unterstützen ihre Begrenzungen zu hinterfragen und zu überwinden. Notiere dir deine Erkenntnisse gerne.


💭 Reflexion 1: Die Pflöcke in meinem Leben
  1. Gibt es etwas in meinem Leben, das ich gerne tun oder verändern würde, aber ich halte mich zurück, weil ich glaube, es geht nicht?

  2. Wann habe ich schon einmal einen „Pflock“ bei mir selbst oder jemand anderem gelöst – eine alte Überzeugung über Bord geworfen? Wie hat sich das angefühlt?

 

💭 Reflexion 2: Die Pflöcke in der Schule
  1. Welche Überzeugungen über Lernen, Erfolg, Anstrengung oder Fähigkeiten halte ich – bewusst oder unbewusst – in meinem Unterricht oder Schulalltag aufrecht?

  2. Welche Pflöcke möchte ich bei meinen SuS gar nicht erst entstehen lassen? Und wie kann ich ihnen helfen, sich von einengenden Glaubenssätzen (die sie vielleicht schon mitbringen) zu befreien?

 

✨ Manche dieser Antworten können sich schwer, herausfordernd oder fast ein bisschen schmerzhaft anfühlen – das ist normal, und sogar gut! Denn oft sind genau das dann jene Dinge, die uns am meisten festhalten … und uns die meiste Freiheit schenken können, wenn wir sie loslassen! Also, was hält dich noch?


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